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Bericht vom Workshop am 19.4.2021

Deutschlandtakt blockiert Prüfung von Alternativen

Über Alternativen zur Bahn-Neubaustrecke Bielefeld – Hannover darf nicht nachgedacht werden. Die Bundesregierung verwendet den Deutschlandtakt als Diskussionsblockade. Das ist das Ergebnis des ersten Workshops des Bürgerforums, das die Deutsche Bahn am 19. April durchgeführt hat.

In dem digital durchgeführten Workshop zu dem Projekt war Thema der Deutschlandtakt, der eine Fahrzeit von 31 Minuten zwischen Bielefeld und Hannover vorsieht und damit eine rund 80 Kilometer lange Neubaustrecke von Bielefeld bis Seelze verlangt. Über Alternativen einer kürzeren Neubaustrecke mit längerer Fahrzeit darf nach Auffassung der Bundesregierung nicht nachgedacht werden. Dies machte Florian Böhm als Vertreter des Bundesverkehrsministeriums klar. Diese Haltung vertraten auch Ingolf Leuschel als Vertreter der Deutschen Bahn AG und Philipp Schröder vom Gutachterbüro SMA. Als Begründung führten sie an, dass dieser Fahrplan in einem umfassenden Verfahren mit den Verantwortlichen des Nahverkehrs und den Verkehrsunternehmen abgestimmt sei.
Eine wirklich konkrete Begründung für das Projekt wurde nicht gegeben. Die Vertreter von BMVI und DB wiederholten auf kritische Fragen immer, dass aufgrund des ‚Abstimmungsprozesses eine andere Lösung nicht möglich sei. Etwas mehr Aufschluss gaben die Details, die Philipp Schröder aus der Arbeit des Gutachters SMA gab. Es erhärtete sich aber der Eindruck, dass das Ziel der Entwicklung des Deutschlandtakts die möglichst breite Zustimmung der Unternehmen des Schienenverkehrs und der Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs war. Gesichtspunkte des möglichst sparsamen Umgangs mit Umweltressourcen haben keine Rolle gespielt.
Das Projektteam hatte als Kritiker auch Professor Hesse und den Unterzeichner Gelegenheit zum Vortrag gegeben.
Professor Hesse stellte aus übergeordneter Sicht eine Alternative dar, die eine Fahrzeit von 40 Minuten von Bielefeld nach Hannover und von 3 Std. 50 Minuten von Köln nach Berlin ergeben. Diese Variante würde einen bestandsnahen Ausbau ermöglichen. Hesse machte aber deutlich, dass auch hierbei erhebliche Bauarbeiten durchgeführt werden müssten.
Ich habe den Gedanken einer verkürzten Neubaustrecke mit einer Fahrzeit von bis zu 35 Minuten vorgestellt, die als größten Vorteil eine deutlich kürzere Fahrzeit zwischen Hannover und Osnabrück bringt.
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Alternativen blockierten aber die anderen Redner mit dem Hinweis auf die Abstimmung des Zielfahrplans mit den am bisherigen Entstehungsprozess Beteiligten und meinten, deren Zustimmung zu einer Alternative seit nicht zu erreichen, sodass man diese auch gar nicht diskutieren müsse. Kernaussage: „Die Ankunfts- und Abfahrtszeit in Hannover zur Minute 0 und 30 ist gesetzt.“

Wirtschaftlichkeitsberechnung nach Belieben

Einigen Raum in der Diskussion nahm die Frage der Wirtschaftlichkeitsberechnung für das Neubauprojekt ein. Bekannt ist, dass sich das Neubauprojekt allein nicht wirtschaftlich rechnet. Daher hat die Bundesregierung die Rechnung mit dem wesentlich günstigeren Ausbauten zwischen Hannover und Wolfsburg (von 200 km/h auf 230 km/h) und zwischen Wolfsburg und Berlin (von 250 km/h auf 300 km/h) zusammengerechnet und ist auf den sehr knappen Nutzen-Kosten-Wert von 1,04 gekommen. Sowohl Professor Hesse wie der Unterzeichner sehen Investitionen auf der Strecke zwischen Hannover und Magdeburg als notwendig an, um westlich Hannover wesentliche Kosten einzusparen. Zwischen Hannover und Braunschweig werden zurzeit nur 140 km/h erreicht, zwischen Braunschweig und Magdeburg nur 120 km/h gefahren, so dass Zeitvorteile mit viel geringeren Investitionen erreicht werden können. Jegliches Nachdenken darüber wurde aber mit dem Hinweis blockiert, dass aufgrund der geringeren Nutzung der Strecke die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben sei. Damit wurde jeglicher Ansatz eines Denkens im Netz blockiert, das der Deutschlandtakt erfordert.

Geheim gehaltene Unterlagen

Selbstverständlich stehen die Unterlagen zur Wirtschaftlichkeitsberechnung von Verbesserungen zwischen Hannover und Magdeburg nicht zur Verfügung. Genauso wenig wie alle anderen verfügbaren Unterlagen, die die Richtigkeit des Zielfahrplans belegen könnten.
Eine weitere nicht öffentlich verfügbare Unterlage, einen Bildfahrplan für die Strecke Hannover – Bielefeld, zeigte Philipp Schröder, um die Belegung mit Güterzügen darzustellen.
Solche nicht öffentlichen Unterlagen haben in der Entwicklung des Deutschlandtakts Tradition. Die begleitenden Unterlagen zu den Zielfahrplänen der verschiedenen Stadien waren nur den Teilnehmern der begleitenden Gremien zugänglich unter der Auflage, sie geheim zu halten. Diese würden aber viel Aufschluss geben darüber, welche Entwicklungsschritte zurückgelegt wurden und welche Entscheidungen fachlich begründet sind und welche politisch durch Einzelinteressen gesteuert sind.

Andere „Wirtschaftlichkeit“ ist „tragender Grund“.

Dafür kam ganz nebenbei einer der Gründe zum Vorschein, warum Alternativen nicht geprüft werden dürfen: Geringe wirtschaftliche Vorteile für die Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs, die nicht aufgegeben werden sollen. So erfordert eine längere Fahrzeit von Bielefeld nach Hannover eine Verlegung des Regionalexpress Hannover – Braunschweig um 3 Minuten. Folge ist, dass dieser Regionalexpress in ‚Braunschweig nicht mehr 10 Minuten Wendezeit hat, sondern nur 4 Minuten. Das hätte zur Folge, dass der gleiche Zug nicht sofort zurückfahren kann, sondern ein zusätzliches Fahrzeug im Umlauf notwendig wird. Wirklich offen gelegt wurde dieser Zusammenhang für die nicht fachkundigen Zuhörer nicht. Erst der Einblick in den Zielfahrplan hat mir erschlossen, dass tatsächlich ein solches Argument von Bedeutung ist.

Güterverkehr und Engpass Bielefeld

Aus dem Kreis der Teilnehmer wurde auch die Frage gestellt, ob nicht der Bielefelder Hauptbahnhof zum Engpass wird. Herr Leuschel meinte, diese Frage verneinen zu können, zumal die Arbeit an einer S-Bahn Ostwestfalen-Lippe den Bahnhof entlasten werde. Tatsächlich ist diese Annahme Spekulation, da das S-Bahn-Konzept immer noch nicht vorliegt. Durch Nachrechnung anhand eines Bildfahrplans hat der Unterzeichner bereits festgestellt, dass zwischen Bielefeld und Brackwede eine Vollauslastung droht, da hier auch die Züge nach Osnabrück und Paderborn verkehren müssen. Ein fünftes Gleis wäre daher für zukünftige Entwicklungen sehr sinnvoll.

Die Zusammenfassung

Die am Ende des Workshops erstellte Zusammenfassung spiegelt die Stimmung der Teilnehmer wider: Der Versuch, Verständnis für das Projekt zu erzeugen, ist weitgehend gescheitert. Viele Teilnehmer fordern eine intensive Prüfung der Alternativen. Projektleiter Carsten Müller musste aber darauf hinweisen, dass er hierfür nicht der richtige Ansprechpartner ist – dies müsse das Bundesverkehrsministerium möglich machen.

Weitere Themen

Der Deutschlandtakt nahm die volle vorgesehene Zeit für den Workshop ein. Alle anderen Themen wurden auf die Zukunft vertagt.

Ein Fazit

Mit ihrer massiven Ablehnung, Alternativen zu überprüfen, hat die Bundesregierung dem Projekt Deutschlandtakt einen Bärendienst erwiesen. Der Zielfahrplan ist nicht so schlecht, dass er nicht einer vertieften Prüfung standhalten könnte, aber auch nicht so gut, dass er als alternativlos hingenommen werden muss. Das Vertrauen, das das Projektteam für eine Zusammenarbeit mit dem Bürgerforum mühsam aufbauen will, hat erneut einen Schlag erhalten. Geheimpapiere, fehlende Informationen und mangelnde Diskussionsberechtigung des Projektteams sind eine schwierige Basis für die weitere Entwicklung des Projekts. Vor allem aber zwingt der Umgang der Bundesregierung mit den Bürgern dazu, politisch außerhalb des Bürgerforums gegen das Projekt zu argumentieren. Es wäre besser gewesen, wenn die Alternativen innerhalb des Projekts erörtert werden könnten.

Unterlagen

Auf der Projektseite der DB ist noch nichts verfügbar.
Den Vortrag von Rainer Engel finden Sie in einer nachträglich ergänzten Fassung als Video (20 Minuten hier:
http://neubaustrecke-bielefeld-hannover.de/Download/2021-04-19%20DB-Workshop.mp4
Die Folien von Professor Hesse stehen ebenfalls über diese Website hier zur Verfügung:
http://neubaustrecke-bielefeld-hannover.de/Download/2021-04-19_Praes_Hesse.pdf





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Initiative Deutschlandtakt und
PRO BAHN NRW e.V., PRO BAHN Niedersachsen e.V.
Rainer Engel, Referent Deutschlandtakt